Erinnerungsbilder in der Tiefenpsychologischen Körpertherapie
> Einleitung (unsere subjektiven Eindrücke)
> Trauma
> Wo sitzt das Körpergedächtnis?
> Träume
> Traum und Körper bei Freud
> Kontraindikation
> Veränderbarkeit von Erinnerungen
Einleitung
Im Verlauf meiner nunmehr über sechs Jahre dauernden inneren Arbeit mit der tiefenpsychologischen Körpertherapie habe ich immer wieder beglückende Momente erlebt, in denen ein „Knoten geplatzt“ ist, sich innere Blockaden „gelöst“ haben, so dass meine Lebensenergie (wieder) zu fließen begann. Das passierte häufig nach tiefen Regressionsarbeiten, in denen alte, unerlöste Gefühle wie Ängste, Enttäuschung und Verletzungen in mir aufbrachen und zunächst einmal tiefe Traurigkeit auslösten. Durch das nochmalige Erleben dieser seelischen Nöte, diesmal jedoch in der schützenden Geborgenheit einer begleitenden Person, konnten sich diese stückweise immer mehr aus meinem Körper lösen. Heinz-Peter Röhr beschreibt diesen therapeutischen / reinigenden Prozess treffend in seinen Worten: „Diese eingesperrten Gefühle, die abgespalten und nicht spürbar sind, müssen mit dem Kopf verbunden werden…Gefühle bilden eine Brücke zwischen Geist und Körper und auch vom bewussten zum unbewussten Bereich.“ (Röhr, S. 100) Die heilende Erfahrung des Gehaltenseins, der Verbundenheit und Geborgenheit, die sich in den Körperkontaktarbeiten einstellen kann, bewirkte, dass die Macht dieser unerledigten Spannungen über meine Lebensenergie nach und nach gebrochen wurde. Ich habe erlebt, wie durch das vielfache Wiederholen dieser Erfahrung es möglich wurde, emotionale Defizite aufzuarbeiten, etwas „nachzuholen“, im Nachhinein genährt zu werden. Das Vertrauen sowie die tiefen Bindungen, die sich zwischen den einzelnen Menschen unserer Therapiegruppe entwickelt haben, haben den Nährboden dafür geschaffen, sich mit einengenden Mustern, ungelösten Ängsten und Erfahrungen auseinander zu setzen und sich immer wieder in neuen Weisen des Verhaltens und Fühlens ausprobieren zu können. Anfangs erschienen mir diese besonderen Erlebnisse wie solitäre Gefühlsmomente und standen mehr oder weniger unverbunden in der eigenen Biografie hervor. Je häufiger ich sie jedoch erlebt habe, umso mehr ist die heilende Wirkung des Angenommenseins in das eigene „Körpergedächtnis“ eingesickert und konnte ein neues, stabileres Fundament meiner Persönlichkeit und meines Selbstwertgefühls werden. Dadurch habe ich mit Leib und Seele begreifen gelernt, in welcher Weise alte Verletzungen und Defizite durch neue, heilende Erfahrungen abgelöst bzw. ersetzt werden können. Wenn ich mich also jetzt mit dem Phänomen des Körpergedächtnisses befasse, geschieht das vor allem aufgrund persönlicher Erfahrungen in der Therapie. Freilich spielt da auch der Wunsch hinein, etwas in Begriffen zu erfassen, was ich zunächst einmal ganz unbefangen am eigenen Leib erfahren habe.
Auszug aus einem Tagebucheintrag während der Ausbildung: Die Reise war manchmal unwirklich wie ein Rausch. Es ging zu schnell, mein Geist zog mich nach Hause, mein Körper wurde fortgetragen. Die Eingeweide denken immer noch die letzten Tage, versuchen zu verdauen. Um mich herum knarzen die Zikaden, als wenn sie für ihre Lebendigkeit bezahlt würden. Die Sonne streichelt meine Haut und der sanfte, regelmäßige Wind bewegt die Härchen auf dem Unterarm wie ein miniaturisiertes Weizenfeld. Tröpfchenweise, langsam, osmotisch dringt die Gruppen-Realität in meine Aura, will mir ihre Ruhe aufzwingen. Meine Augen folgen den sanft gewellten Hügeln, die mich an die schwellenden Rundungen eines Frauenkörpers erinnern. Ist das wahr? Aber der Kern rebelliert, will sich nicht beruhigen, will verharren in dem alten Chaos.
Es hat lange gedauert bis ich mein Leben in solchen Bildern fühlen konnte, ich, der ein durch und durch rational geprägter Mensch war und bin. Es hat lange gedauert, das Wissen, was ich mir im Studium der Psychologie und auch sonst in meinem Leben erworben habe, in tiefere, widerständige, abgespaltene Schichten einsickern zu lassen. Die GRUPPE und durch sie das Klima der Akzeptanz, die Konfrontation mit meinem Schatten, die regressiven Tauchgänge, die Glücksmomente, in denen ich immer wieder meine/die Liebe spüre, haben ganz langsam, fast unmerklich, den Muskelpanzer meiner Fassade durchdrungen, jedoch ohne ihn zu zerstören. Genau diese Verbindung von Herz und Verstand ist in der körpertherapeutischen Arbeit gewachsen, hat sich erst ganz leise in meine Realität eingeschlichen, wurde dann immer lauter und drängender, hat mir eine neue Lebendigkeit geschenkt, meine alte und sichere Depressivität zerstört. Dieser Prozess wurde begleitet von kleinen und großen destruktiven Aktionen, in denen ich alte Strukturen einreißen musste, um Neue aufbauen zu können. („Wenn ich von der »Leben | Tod | Leben – Natur« spreche, dann meine ich den ewigen Zyklus von Entstehung von Leben, Entwicklung, Abbau und Tod, auf welchen wieder neues Leben folgt.“ Pinkola Estés, S. 160) Das war teilweise sehr schmerzhaft, teilweise sehr lustvoll. Ich möchte diese Zeit nicht missen, in der ich gelernt habe, auf die Signale meines Körpers zu hören; gelernt habe zu differenzieren zwischen ‚alten’ Ängsten und der momentanen Bedrohung/Lebendigkeit; gelernt habe, mehr im JETZT zu sein; gelernt habe, wie viel Lust im offenen Kontakt zu anderen Menschen wohnt, auch im Streit, Hass, Neid. Ein ganz wichtiger Bestandteil dieses Weges waren immer wieder die Bilder, die aus meinem ’Unbewussten’, aus meinem ’Bauch’, meinen Träumen, aus meinem ’Körpergedächtnis’ hochgespült wurden, denen ich in der Sicherheit der GRUPPE Platz geben konnte, auch wenn sie erst einmal total verrückt, peinlich und angstbesetzt waren. Einiges WISSEN um psychologische Prozesse war mir bekannt, ich konnte hier jedoch lernen dieses Wissen mit meinen eigenen Erfahrungen in Verbindung zu bringen, der Abspaltung die Macht zu entziehen. Natürlich habe ich auch sehr von den kognitiven Aspekten der Ausbildung profitiert, das geschah allerdings fast nebenbei, denn alle Bücher, alle Texte nützen mir nichts, wenn ich sie nicht umsetzen kann. Es ist tatsächlich so: Mein Körper weiß oft schneller, was ’richtig’ ist, als mein Verstand; der hat eher die Funktion, dieses Wissen und das anschließende Handeln in gesellschaftlich akzeptierte Formen zu bringen. Was liegt also näher, als sich mit den neuesten Erkenntnissen zum Körpergedächtnis und als Therapeut eben auch mit der Speicherung traumatischer Bilder zu beschäftigen?
Trauma
Wenn wir im Folgenden von vorsprachlichen Traumen sprechen, dann meinen wir damit Erlebnisse des Kindes, die pränatal oder perinatal stattgefunden haben und die nicht in das ganzheitliche Empfinden integriert werden konnten. Verbunden ist damit in der Regel ein Gefühl der Dissoziation, ein Gefühl, wie von sich selbst abgeschnitten zu sein. Diese Emotionen, Körpergefühle, Sinneseindrücke und szenarische Zusammenhänge sind auf der einen Seite bewusst nicht fassbar, können nicht aktiv erinnert oder verbalisiert werden, bestimmen auf der anderen Seite aber noch immer wieder das erwachsene Leben. Unter bestimmten Umständen kann es zu einer unbewussten Wiederholung des präverbalen Traumas kommen, mit den damit zusammen hängenden Verzerrungen des Zeitgefühls und der Wahrnehmung oder körperlicher Erstarrung. „Das im Schock abgespaltene Ereignis friert ein, ist nun weiterer psychischer Bearbeitung oder psychischem Reifungsprozess erst einmal ausgeschlossen“ (Hochauf, S. 505). Stattdessen wird das Trauma wiederholt, durch entsprechende situative Reize (Trigger) wird das Trauma reaktiviert. Dabei ist davon auszugehen, dass gerade die frühen Traumen in ihrer Wirkung lange anhalten können, da es keine Erinnerungen gibt, die einzuordnen sind und einer psychischen Verarbeitung zur Verfügung stehen.“ (Jacoby, S. 15) Zunächst ist jede Theorie eine Reduktion der Wirklichkeit, sie ist unsere Sichtweise auf die Realität: geordnet, gekürzt, interpretiert, vielleicht sogar verbogen. Gerade wenn es sich um die Realität in unserem Inneren handelt, sind wir schnell dabei, dieses nicht objektivierbare Erleben in das Korsett des Erklärbaren einzuzwängen. Wir haben es immer wieder erlebt: diese spontanen Bilder, die während einer tiefen Körperarbeit an die Oberfläche schwimmen, der erhöhte Herzschlag, der bei den meisten Menschen einsetzt, nur wenn sie jemandem für 10 Minuten in die Augen sehen, die sichtbaren vegetativen Reaktionen wie das Zucken einzelner Muskeln, das Öffnen des Zwerchfells, das bei einer warmen, „tragenden“ Berührung entsteht und auch die nicht sichtbaren Erscheinungsformen, die nur im direkten Körperkontakt spürbar werden, das Anpassen / Synchronisieren der Atmung in einer regredierenden Übung, die konkreten oder symbolischen Bilder, die entstehen und auch nachträglich benannt werden können. Prof. Dr. Gottfried Fischer beschreibt in seinem Buch „Neue Wege nach dem Trauma“ vier Kriterien für eine traumatische Störung. Natürlich geht Dr. Fischer von relativ ’frischen’ Traumatisierungen aus, von Verkehrsunfällen, Vergewaltigungen, Überfällen, und ähnlich schrecklichen Ereignissen. Ein Trauma ist für ihn eine unterbrochene Handlung: „Eine Handlung, die in einer existentiell bedrohlichen Situation unterbrochen wird, in der wir unbedingt wirksam handeln müssten, hierzu aus äußeren oder inneren Gründen jedoch nicht in der Lage sind“ (Fischer, S. 18). Die vier häufigsten Anzeichen eines psychischen Traumas benennt er mit: „Ein belastendes Ereignis, das in einem Zustand der objektiven oder subjektiven Hilflosigkeit erfahren wird. Das Gleiche gilt für belastende Lebensumstände, die über einen längeren Zeitraum hinweg bestehen. Wiederkehrende, plötzliche Erinnerungen an das Ereignis, z.B. in Alpträumen oder sog. „flash-backs“, in „Nachhallerinnerungen“, in denen, wie in einem Horrorfilm, Szenen vom traumatischen Geschehen ständig wiederkehren. Manchmal tauchen auch nur Bruchstücke auf, die Gerüche, Geräusche oder Köperempfindungen, die mit den Vorfällen anscheinend in keinem Zusammenhang stehen. Vermeiden von allem, was an das Trauma erinnert oder erinnern könnte … Die ängstliche Vermeidungshaltung kann sich mit der Zeit immer weiter ausbreiten. Eine gesteigerte Erregbarkeit und Schreckhaftigkeit. Die Betroffenen können keine Ruhe finden und schrecken zusammen bei allen ungewöhnlichen Vorkommnissen, nicht nur bei solchen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen….“ (Fischer S. 26) Wir haben in unserer Ausbildung vor allem alte, frühkindliche oder sogar pränatale Traumen kennen gelernt, wobei die vier oben aufgezählten Punkte sich sehr gut in unsere Erfahrungen integrieren lassen. Wir haben allerdings erlebt / festgestellt, dass das belastende Ereignis oft sehr lange zurück liegt und häufig sogar im vorsprachlichen Bereich stattgefunden hat, so dass hierüber keine ’äußeren’ Informationen mehr zugänglich sind. Für unseren kleinen Aufsatz wollen wir uns auf den Punkt B von Fischers Definition konzentrieren: die wiederkehrende, plötzliche Erinnerung, wie er es nennt, die in Alpträumen oder ’flash-backs’, in ’Nachhallerinnerungen’ oder in tiefen Körperarbeiten – wie wir es erlebt haben – aufflackern können. Gerade an diesen (Körper-) erinnerten Bildern setzt die körperorientierte Psychotherapie an. Sowohl an den ’guten’ angenehmen Erfahrungen, wie auch an den schmerzhaften, ekligen, schambesetzten. Dazu Krens und Krens : “Zusammenfassend konstatieren wir, dass Erfahrungen in der Gebärmutter in impliziter Weise vom Organismus erinnert werden können. Bei Reaktivierung zeigen sich solche Erinnerungen in mehr oder weniger diffusen (Körper-) Wahrnehmungen, Ahnungen, Stimmungen Gefühlen und Verhaltensweisen, ohne Bewusstsein über ihren prä- oder perinatalen Hintergrund.“ (Krens und Krens, S. 20)
Die Wahrnehmungen müssen also nicht über das Bewusstsein laufen. Wenn wir den Punkt C der Trauma-Anzeichen von Fischer hinzunehmen, dann wird bewusst, oft sogar aktiv ängstlich vermieden, diese Erinnerungen wieder aufleben zu lassen. Und das ist sehr funktional. Fischer schreibt von den Selbstschutzmaßnahmen, die jeder Mensch im Laufe seines Lebens entwickelt hat. Er führt aus, dass diese Funktionen im Wesentlichen autonom und unbewusst im Körper ablaufen: „Dabei werden die Selbstschutzmaßnahmen nur zum geringeren Teil mit vollem Bewusstsein ausgeführt. Weil sie für unser körperliches und seelisches Überleben so wichtig sind, werden sie über neuronale Programme geregelt, in die Reflex- und Instinktmuster eingebunden sind“ (Fischer, S. 69) Er bezeichnet diese Muster auch als ’Bewältigungsversuche’, mit deren Hilfe der Betroffene versucht sein inneres Gleichgewicht wieder herzustellen. Mit Hilfe einer spontanen ’Vergessenstherapie’ wird das traumatische Erlebnis aus dem Leben ausgesperrt, wird dem aktuellen Funktionieren der Vorrang gegeben. Dennoch wird später als „Wiederholungszwang“, wie es in der Psychoanalyse beschrieben ist, das Trauma aus dem „Unbewussten“ wieder auftauchen und Situationen suchen, in denen es sich bewusstmachen kann: „Für Taumabetroffene ist es wichtig, die Situation um das Trauma herum möglichst genau kennenzulernen. Einzelheiten werden oft im „impliziten Gedächtnis“ gespeichert in einer Form, an die unser bewusstes Erinnerungsvermögen nicht heranreicht.“ (Fischer, S. 89)
Wo sitzt das Körpergedächtnis?
Unsere Erinnerungen, angefangen bei den frühesten Erlebnissen und Eindrücken, bis hin zu den Empfindungen aus unserer Embryonalzeit, sind alle in unserem Körper gespeichert. Manche sind unserem bewussten Gedächtnis frei zugänglich, einige tauchen in Symbolen verschlüsselt in Träumen auf und wieder andere werden erst durch ähnliche Körperempfindungen bzw. Sinneseindrücke (Gerüche, Klänge, Geschmack) wieder belebt und so aus den Tiefen des Unbewussten emporgespült. Wohl kaum jemand hat diesen Prozess der „unwillkürlichen Erinnerung“ so eindringlich beschrieben, wie der französische Schriftsteller Marcel Proust in seinem Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Die Passage, in der sich der Hauptfigur durch den Geschmack einer Madeleine, eines süßen Gebäcks, das er als Kind häufig bei seiner Großmutter zum Tee aß, der ganze Zauber seiner Kindheit wieder eröffnet, ist nicht nur in literarischen Kreisen weltbekannt. Manche Emotionen und Erlebnisse bleiben unserem Bewusstsein jedoch trotz angestrengter Erinnerungsversuche verschlossen. Sie sind wie verschüttet, verschollen, vielleicht weil sie zu heftig waren oder zu verletzend. Vielleicht war es hilfreich oder gar überlebensnotwendig, sie wegzusperren, an einen sicheren Ort, um uns zu schützen vor ihrer Bedrohlichkeit. Doch auch wenn sie für immer im Dunkel bleiben, sind sie unsichtbar vorhanden, aufgehoben in unseren Körperzellen, und gehören zu unserem „autobiografischen Selbst“, wie es der Bewusstseinsforscher Antonio Damasio nennt. David Boadella beschreibt in seinem Buch „Befreite Lebensenergie“ , wie sich diese Erinnerungsspuren äußerlich im Körperbild niederschlagen. Er macht anschaulich, wie chronische Emotionen (z.B. anhaltende Angst, Stress, unterdrückte Wut, Trauer oder auch Sehnsucht) Körperhaltung, Gesichts- und Augenausdruck eines Menschen prägen und sich häufig in Form eines Körperpanzers manifestieren, der vor weiteren Verletzungen schützen soll: „Die Spannungsmuster des Körpers können wir als die erstarrte Geschichte eines Menschen ansehen“, schreibt Boadella (S. 17) und erläutert das auch genauer: „Die chronischen Spannungen des Körpers können wir als eine Reihe von Konstriktionen begreifen, die in Notfallsituationen geschaffen wurden mit dem Zweck und dem Ergebnis, Bewegung, Atmung und Fühlen einzuschränken, weil dies die einzig verfügbare Alternative zu wirkungsvollem Handeln war.“ (Boadella, S. 16) Detailliert ist bei Boadella nachzulesen, wie sich Blockaden, Bewegungs- und Ausdruckshemmungen in den einzelnen Körpersegmenten widerspiegeln – angefangen beim Gesicht, wo ein vor Angst starrer oder misstrauisch ausweichender Blick, eine sorgenvolle Stirn, ein „herabgezogener Verzweiflungsmund“, „aufeinandergepresste Lippen“ und „angespannte Kieferbacken“ davon zeugen, „welchen Gebrauch der Klient von seinen Gesichtsmuskeln zu machen gelernt hat“ (Boadella, S.18). Bis hin zu dem rigiden, starren Rücken und steifen Schultern, betont hoher Brust, Unbeweglichkeit des Beckens sowie verspannten Beinen, die allesamt die chronischen Spannungen ihres Besitzers sichtbar machen. Mit der Biosynthese bietet er eine Methode an, um die „gefesselten Emotionen“ allmählich wieder aus den Spannungen zu befreien. David Boadella macht damit klar, dass nicht nur unser Gehirn, sondern unser ganzer Körper ein Gedächtnis hat, in dem all unsere Erfahrungen aufbewahrt sind: „Wir brauchen Erinnerungsfähigkeit – so verstanden – nicht auf das Gehirn zu beschränken. Organismen ohne Hirngewebe oder Nervensysteme haben Erfahrungen… Es scheint, dass sogar einzelne Zellen ein bestimmtes System primitiver Erinnerungsfähigkeit an vergangene organische Zustände besitzen.“ Über die „Erinnerung“ an die vorgeburtliche Zeit sagt er: „Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Erregungmuster des Fötus, angenehme wie unangenehme, und die mit ihnen verbundenen Reflexbewegungsmuster in irgendeiner Form aufbewahrt, die möglicherweise später wiederentdeckt werden kann. Wenn das so ist, ist es auch legitim anzunehmen, dass die Art und Weise, wie diese Erinnerungen an die Erfahrungen festgehalten werden, den Organismus ebenfalls formt und lenkt.“ (Boadella, S. 40/41) Die gespeicherten Erinnerungen sind also Teil unseres Seins und beeinflussen auch unser Verhalten und unsere Entscheidungen (das „Gehirn im Bauch“), ob wir es wollen oder nicht, ob wir es merken oder nicht. Nicht selten verschanzen sie sich hinter undurchsichtigen Motiven und bewegen uns zu unerklärlichen Affekthandlungen und Reaktionen. Sie bewirken Ängste, Misstrauen, Größenwahn und andere Macken genauso wie Zuversicht, Optimismus und ein gesundes Selbstwertgefühl. Von Boadella haben wir erfahren, dass Erinnerungen sichtbare Spuren in unserem Körper hinterlassen. Die Neurologen hingegen lokalisieren den Sitz des Gedächtnisses in unserem Gehirn. Doch wo genau sind dort all unsere Erfahrungen, Erlebnisse und Gefühle aufgehoben?
Der Freiburger Psychoneuroimmunologe Joachim Bauer schreibt dazu: „Positive oder schmerzliche Vorerfahrungen lösen sich nicht ‘in Luft‘ auf, sondern addieren sich zu gespeicherten Gedächtnisinhalten in Nervenzell-Netzwerken. Sie können einen Menschen z.B. zuversichtlich und vertrauensvoll oder ängstlich werden und zur Resignation neigen lassen. Die so entstandenen Interpretations- und Handlungsmuster sind ein wichtiger Faktor, wenn neue Situationen zu bewerten sind.“ (Bauer, S. 59) In seinem Buch „Das Gedächtnis des Körpers“ beschreibt Bauer detailliert, wie Beziehungserfahrungen und Lebensstile, angefangen von den ersten Bindungsmustern zwischen Mutter und Kind, ihren Fingerabdruck in den biologischen und genetischen Strukturen unseres Körpers hinterlassen. Aus neueren Untersuchungen schließt er, dass diese in Nervenzell-Netzwerken der Hirnrinde und des limbischen Systems gespeicherten Vorefahrungen sogar die Ursache von Depressionen sein können: „Tatsächlich zeigte sich, dass Personen, die später an einer Depression erkranken, in den ersten Jahren ihres Lebens überdurchschnittlich häufig von Trennungserfahrungen oder schweren Gefährdungen ihrer maßgeblichen, beschützenden Beziehungen betroffen sind.“ (Bauer, S. 110) „Da Erfahrungen dieser Art in den ersten Lebensjahren – anders als beim erwachsenen Menschen – eine absolute Alarmsituation bedeuten (…) , werden in späterer Zeit auftretende kritische Ereignisse im zwischenmenschlichen Bereich besonders leicht erneut als alarmierend bewertet“ (Bauer, S.117) – übrigens auch wenn diese frühen Verlusterfahrungen der eignen Erinnerung nicht mehr zugänglich sind.
Träume Wir versuchen, uns in diesem Abschnitt mit der Frage auseinander zu setzen, welche Modelle es gibt, um frühkindliche und pränatale Traumen bearbeiten zu können. Hier kommen die Träume ins Spiel mit ihren Bildern und oft scheinbar chaotischen Sprüngen. Egbert Jacoby hat in seinem oben schon zitierten Aufsatz: „Zur Imaginativen Psychotherapie und Körperpsychotherapie bei prä- und perinatalen Traumen“ einen Dreischritt beschrieben in dem sich die Therapie vollzieht. Er geht im ersten Schritt vom körperbezogenen, ganzheitlichen Empfinden aus, arbeitet mit den Klienten daran die inneren Empfindungen sprachlich und damit bewusst werden zu lassen. Im zweiten Schritt geht er über zu imaginativer Arbeit mit Träumen und Phantasien. Dabei ist ihm die aktive Rolle der Klienten sehr wichtig, sie erarbeiten die Deutung gemeinsam in dem Tempo wie die Klienten auch mitkommen können, um ihre dissoziativen Empfindungen zu integrieren. Der dritte Schritt ist oft eine direkte Körperarbeit, in der die gestauten Energien eine Entladung und Richtung finden können. Ein notwendiger Schritt in dieser Arbeit ist also die Imagination der dissoziierten Empfindungen. Wie kann ich jedoch Leere, Verwirrung, Betäubung überhaupt fühlen? Hier helfen uns die Träume weiter.
Ein eigener Traum – Ich bin ein Schamane, habe lange Haare viele Amulette um den Hals hängen, und trommele und singe Gesundheitstänze für mich und meine Stammesgenossen. Irgend etwas stimmt mit meiner Trommel jedoch nicht und ich tausche sie gegen eine andere ein. Das ergibt aber keine Veränderung meiner Unzufriedenheit, ich probiere große und kleine, tiefe und hohe Trommeln aus bis ich merke, meine Medizin wird nicht besser sondern nur anders. – Diesen Traum hatte ich zwei Wochen nach einer tiefen regressiven Arbeit in der Ausbildung in der ich am Thema Liebe und Aggression gearbeitet habe. Am Ende der Übung war ich mit einem satten und zufriedenen Gefühl in einen Singsang verfallen, den ich mit meinen Selbstheilungskräften assoziierte. Ich hatte die starke Empfindung endlich meinen eigenen Weg zur Ganzheit gefunden zu haben. Dann, nach zwei Wochen, bin ich mal wieder mit meiner Realität und meinen Unzulänglichkeiten konfrontiert worden, die Gewissheit über meinen eigenen Weg wurde in Frage gestellt. In dieser Situation kam der Traum mit der Botschaft: „Du bist gut genug, auch wenn Du noch so viele andere Methoden der Psychotherapie lernst, Deine Wirkung, Deine Medizin, wird die gleiche bleiben.“
Auch wenn Vedfelt die Mehrdimensionalität von Träumen vertritt (Vedfelt, S. 455), man also diesen beileibe nicht immer mit tiefschürfenden Deutungen begegnen sollte, so können wir oft genug jedoch in dem Chaos des Traumes alte Themen erkennen, die unsere emotionalen Erinnerungen besser beschreiben können, als viele Worte und die damit auch Zeichen für den weiteren Weg geben können. Jacoby schreibt: „… Dabei ist davon auszugehen, dass gerade die frühen Traumen in ihrer Wirkung so lange anhalten können, da es keine Erinnerungen gibt, die einzuordnen sind und einer psychischen Verarbeitung zur Verfügung stehen.“ (Jacoby, S. 15) In seinem Artikel beschreibt er sehr anschaulich wie mit Hilfe der Bearbeitung von Träumen und der Methode der kreativen Trance (Jay Stattman) die dissoziativen Zustände seiner beiden Klienten ins Bewusstsein gebracht und bearbeitbar gemacht werden können. „Diese Träume und inneren Bilder können auf der einen Seite direkte Erinnerungsspuren enthalten, anderseits stellen sie eine Bebilderung innerer Zustände dar. Als solche malen sie sehr deutlich traumaspezifische körperliche sensomotorische Muster aus… Ich gehe davon aus, dass dies sehr konkret erfahrene Erlebnisse der Klienten waren. Fatal wäre es allerdings die Träume mit direkten Erinnerungen zu verwechseln.“ (Jacoby, S. 16) Es wird in diesem Artikel deutlich, wie sehr der direkte Körperkontakt und die Arbeit mit inneren Bildern gerade bei pränatalen Traumen wirksam ist. Träume können also ein möglicher Zugangsweg für die Aufarbeitung dissoziativer Zustände sein.
Traum und Körper bei Freud
Wir nehmen Freud hier als einen der bekanntesten Wissenschaftler, der sich systematisch mit der Erforschung von Träumen beschäftigt hat, auch wenn seine Theorien heute von Neo-Freudianern stark überarbeitet wurden, bleibt „Die Traumdeutung“ (herausgegeben 1890) unser Bezugspunkt. Der Körper und insbesondere die Sexualität ist bei Freud die eigentliche Quelle der psychischen Energie. Er führt damit auch jegliches Traumerleben auf körperliche Bedürfnisse zurück, die enge Verknüpfung der Entwicklung des Bewusstseins mit bestimmten Körperregionen: orale, anale und phallische Phase entspricht dieser Vorstellung, das die Psyche sich aus dem Körper entwickelt und das ICH aus dem empfundenen Körperbild hervorgeht. Freud geht von der Theorie aus, dass der Traum der ’Hüter des Schlafes’ sei. Die Trauminhalte sind auf frühere Lebensphasen gerichtet und stellen einen Kompromiss zwischen dem Unbewussten und den zugehörigen Abwehrimpulsen dar. (Vedfelt S. 56) Träume kommen aus dem Unbewussten, diesem „dunklen und unzugänglichen Teil unserer Persönlichkeit“ , der „ein Chaos, ein Hexenkessel voller brodelnder Erregungen“ ist. (Vedfelt, S. 18) Freud deklarierte auch schon damals (25 Jahre vor seiner Theorie des ES, ICH und ÜBERICH) das Vorbewusste, das wie ein Schutzschild die Inhalte aus dem Hexenkessel filtert und verkleidet bevor sie ins Bewusstsein dringen – deshalb auch die Trennung in latenten und manifesten Traum. Der ursprüngliche Trauminhalt war für ihn sehr wohl sinnvoll, wenn auch geprägt von (unterdrückten, infantilen) sexuellen Impulsen und Unerlöstem aus der Kindheit. Der Traum schützt durch diesen Vorgang den Träumer vor schockierenden Gedanken, so dass dieser Aufwachen könnte. Zum Anderen werden, wenn auch in maskierter Form, Wünsche des Unbewussten an die Oberfläche gespült. (Vedfelt, S.20) In den Träumen gibt es drei Komponenten, die die Quelle für deren Inhalte bilden: Körperliches, Tagesreste und infantiles Material. Es gibt also eine deutliche Mischung von physischen und psychischen Prozessen, die in der Deutung wieder von einander getrennt werden müssen. Traumdeutung in diesem Sinne besteht also darin die ’Traumarbeit’ die Verwandlung von dem latenten in den manifesten Traum wieder rückgängig zu machen und damit zu den ursprünglichen Impulsen zurückzukehren. Zwei wesentliche Prozesse der Traumarbeit sind dabei die Verdichtung, wo Stränge des psychischen Empfindens quasi überdeterminiert in einzelne Bilder gepresst werden und die Verschiebung, wo die emotionale Energie eines Traumelements einem anderen übertragen wird. Die bildliche Darstellung und die sekundäre Bearbeitung dienen dazu den Traum in eine anschauliche Form zu bringen.
Kontraindikation:
Für welche Patienten mit posttraumatischen Belastungsstörungen kann eine aufdeckende und konfrontative Körpertherapie im Gruppensetting ungeeignet sein? Durch ’Triggern’ des alten Traumas in Gruppensituationen (z.B. durch offen aggressive, laute Konflikte) kann es bei schwer traumatisierten Menschen zu einem ‚Hyperarousel-Zustand‘ kommen, der nicht nur ein Verarbeiten der aktuellen Situation verhindert, sondern zudem das alte, bekannte emotionale Geschehen im Körper wiederbelebt. Dieser Zustand des ’hochgradig ErregtSeins’ ohne direkte Möglichkeit der Energie-Abfuhr und die möglicherweise damit entstehende Sprachlosigkeit bis Lähmung kann eher retraumatisierend wirken als zur weiteren Entwicklung beitragen. Sachsse beschreibt die hirnphysiologischen Vorgänge in seinem Vortrag: Trauma, Trauma-Coping und Posttraumatische Belastungsstörung so: „Die rechte Amygdala ist sehr aktiv, die linke nicht; die linke Amygdala leitet normalerweise weiter zum Frontalhirn, zur linken Hirnhälfte und zum Sprachzentrum. Beim Traumatisierten haben Frontalhirn und Sprachzentrum also Sendepause, weil die linke Amygdala inaktiv ist. Das bedeutet: Sie haben das klinische Bild in der Gehirnarbeit abgebildet, das da lautet: hochgradig aufgeregt, Hyperarousel-Zustand.“ (Sachsse, S. 13) Den Mandelkern (Amygdala) bezeichnet er als „Rauchmelder des Gehirns“, und wenn diese Glocke schrillt, führt das direkt zu einer Übererregung unter Umgehung des Frontalhirns. Damit sind zwar körperliche Reaktionen, wie Flucht oder Kampf weiterhin möglich, jedoch keine verbalen Reaktionen oder eine bewusste Aufarbeitung. Die biochemischen Prozesse unseres Gehirns sind zwar noch lange nicht wirklich grundlegend erforscht, wir können aber neuere Ergebnisse der Forschung nehmen, um damit ein Bild zu entwerfen, das es uns ermöglicht, in die nichtsprachlichen Bereiche des menschlichen Erlebens einzutauchen und sie damit auch für die Therapie nutzbar zu machen. Es ist uns bewusst, dass wir mit diesen Modellen lediglich Hilfen für das Verständnis von psychischen Prozessen geben können, die wir in der Ausbildung gesehen haben, sie bilden in unserem Sinne nicht die ‚Wirklichkeit‘ ab. Dr. Paul MacLean, ein Gehirn-Forscher aus den USA, legt seinem Entwurft ein evolutionäres Modell zugrunde. Seine „Triune-Brain-Theorie“ beschreibt das menschliche Gehirn als Kombination von drei einzelnen Subgehirnen, dem Stammhirn (archipallium brain), dem Zwischenhirn (palleomammalian brain) und dem Großhirn (neopallium brain). In Anlehnung an diese Theorie können wir die evolutionäre Entwicklung des Gehirns in groben Schritten nachverfolgen. Das Stammhirn ähnelt den Gehirnen einfacher Reptilien und kontrolliert grundlegendes, instinktives und überlebensnotwendiges Verhalten. Das Zwischenhirn ähnelt dem Gehirn einfacher Säugetiere und repräsentiert die Quelle von Gefühlen, emotionalem Verhalten, persönlicher Identität sowie Gedächtnisfunktionen für zeitkritisches Verhalten. Das Großhirn – das Gehirn von weit entwickelten Säugetieren – ist notwendig für komplexe Gedankenvorgänge, gezielte Lernvorgänge, verbale Aussprache, rationales Denken, Kreativität und vieles mehr. Spannend in therapeutischen Zusammenhängen ist jetzt seine Annahme, dass die ‚unteren’ Gehirn-Areale die Weiterleitung von Reizen zum jeweils höheren Gehirn-Areal verringern können. So ist das Stammhirn für die Grundbedürfnisse (Hunger, Schlaf, Überleben …) verantwortlich. In extremen Situationen, in denen eines dieser Grundbedürfnisse nicht gedeckt ist, also z.B. Angst um das eigene Überleben besteht, prägt vornehmlich das Stammhirn unser Verhalten. Für die bisherige Diskussion bedeutet dies: In einer lebensgefährlichen Situation (oder einem ähnlich getriggerten emotionalen Zustand) stehen die höheren Funktionen unseres Gehirns nicht voll zur Verfügung. Es kann dazu kommen, das jemand ‚keine Sprache mehr hat’ oder sich auch eventuell nicht mehr an bestimmte Sequenzen erinnert. Das ganze Streben dieses Menschen ist auf Flucht oder Kampf ausgelegt und das sofort. Reflexion oder Neubewertung sind in diesem Moment nicht möglich. Wir kennen natürlich alle diese Gefühle, diese Zustandsbeschreibungen sie kommen auch mal im Alltag vor. Es gibt aber Menschen, bei denen Hyperaousel-Zustände im Vordergrund stehen und die auch nachträglich – im geschützten Rahmen einer tragenden Beziehung – aktuell nicht in der Lage sind, solche Erlebnisse aufzuarbeiten. Wenn wir also von den obigen Beschreibungen ausgehen, können wir die These formulieren, dass bei schwerst traumatisierten Menschen HyperarouselZustände erregt/ ausgelöst werden können, ohne dass die unmittelbare Möglichkeit der bewusst-verbalisierten Aufarbeitung besteht. Im Gegenteil, die Folge könnte eine erneute De-Realisierung und De-Personalisierung, also ein Wiedererleben des alten Traumas sein. Nun ist uns eine tief greifende Therapie ohne partielle Re-Traumatisierung nicht vorstellbar. Wenn wir hier über Grenzen aufdeckender, körpertherapeutischer Arbeit diskutieren, so ist an dieser Stelle die Differentialdiagnose gefragt. Der Therapeut muss schon im Vorfeld der therapeutischen Arbeit absehen können, dass die aufgebrochenen alten Muster auch in mittelbarer Zeit durch eine stützende, stabilisierende begleitende Beziehung aufarbeitbar sind. Ansonsten wäre mit dieser ReTraumatisierung lediglich eine Verfestigung des alten Erlebens-Musters erreicht, ohne neue Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Wenn wir der Hypothese von der GRUPPE als Gebärmutter folgen, dann können bei schwerst Traumatisierten mit pränatalen Störungen allein durch die Gruppenteilnahme und entsprechende Übungen heftige Körpererinnerungen getriggert werden, die manchmal aber nicht durch entsprechende, zeitnahe, kognitive Bearbeitung in neue Bahnen lenkbar wären. Unsere These ist, dass solchen Menschen – durch eine gute Differentialdiagnostik – mit einer zunächst rein stützenden, einzeltherapeutischen Begleitung oder einem stationären Aufenthalt in dafür spezialisierten Kliniken eher gedient wäre.
Veränderbarkeit von Erinnerungen:
Bis hierher haben wir vier verschiedene Formen beschrieben, in denen das Gedächtnis des Körpers zum Ausdruck kommt: All unsere Erinnerungen und Vorerfahrungen sind in den Körperzellen aufgeho-ben und schlagen sich äußerlich in unserem Körperbild nieder. Die Gesamtheit unserer Beziehungserfahrungen, Erlebnisse und Gefühle hinterlassen ihre Spuren in den Feinstrukturen unseres Nervensystems und wirken noch Jahre später physiologisch und psychologisch in uns weiter. Es gibt bei Traumatisierten ein „implizites Gedächtnis“, an das unser Bewusstsein nicht heranreicht, das dennoch Erlebnisse fast fotografisch festhalten kann. Diese ’Nachhallerinnerungen’ drängen sich immer wieder in den Vordergrund, wollen verarbeitet werden. Unsere Erinnerungen machen sich auch durch Träume bemerkbar. Nach Freud werden aus psychischen Erfahrungen durch Verdichtung, Verschiebung und Symbolisierung verschiedenste Bildergeschichten, die uns im Schlaf heimsuchen. Das mag vielleicht so klingen, als würden sich im Laufe unseres Lebens immer mehr Informationen im Körpergedächtnis ansammeln, aus denen sich dann unser weiteres Verhalten, all unsere Entscheidungen und Handlungen wie zwingend ergeben. Dann wären wir unentrinnbar von unserer Geschichte geprägt und von den Vorerfahrungen an kurzer Leine durchs Leben geführt. Dass wir keineswegs Sklaven unserer eigenen Erinnerungen sind, dass neue Erfahrungen vielmehr alte korrigieren können, haben wir immer wieder eindrucksvoll in den vielen Jahren der inneren Arbeit mit der tiefenpsychologischen Körpertherapie erfahren. Wir haben erlebt, wie heilsam es ist, sich durch Körperkontaktarbeiten wieder an die eigene Lebendigkeit zu erinnern, an die Lebensenergie, Freude und Kraft, die in jedem Menschen stecken, zuweilen aber tief verschüttet sind. Da wundert es nicht, dass sich auch in jüngeren Forschungen der Neurobiologie die lebenslange Lernfähigkeit des Gehirns erwies: „Training, geistige Aktivität und Lernübungen können bei Tieren wie auch beim Menschen eine Vermehrung von Nervenzellen in der Hirnrinde bewirken, welche die Folge von Zellteilung ist. Dadurch geriet eine seit langem bestehende Lehrbuchmeinung ins Wanken, die irrtümlicherweise davon ausging, dass sich Nervenzellen, anders als alle anderen Zellen des Körpers, nicht vermehren können… Anregende Umweltbedingungen und Aktivität vermehren die Zahl von Nervenzellen und Synapsen (Verknüpfungen von Nervenzellen).“ (Bauer S.79/80) Wir sind also dauerhaft in der Lage unsere Überzeugungen zu revidieren, alte Schmerzen auflösen und neue Erfahrungen zu integrieren.
August 2003 Cord Niederstraßer / Gisela Klose